Um meinen Lesern einmal eine kurze Pause von dem täglich dramatischer werdenden Wahlkampf in Langenargen zu gönnen, werfen wir trotz aller Turbulenzen am Bodensee einen interessierten Blick nach Dotternhausen (Zollernalbkreis). Von Langenargen nach „Holcim-City“ war uns ja schon der Bürgermeisterkandidat Michael Stadler abhandengekommen (hier). SaSe möchte sich von Stadler aber ungern den Vorwurf gefallen lassen, wir hätten ihn deswegen aus den Augen verloren …
Den beiden Bürgermeisterwahlen in Langenargen und Dotternhausen eignet über den vormals gemeinsamen Interessenten hinaus jedoch auch noch das gemeinsame Wahldatum: Sonntag, den 8. November 2020.
Ein gravierender Unterschied zwischen beiden Kommunen allerdings besteht in der zumindest für mich weiterhin offenen Frage, wozu man in Dotternhausen überhaupt einen Bürgermeister braucht? Die wesentlichen Geschicke der Menschen dort werden – so meine Wahrnehmung – doch ohnehin von dem globalen Baustoffkonzern (Lafarge)Holcim und seinen kapitalistischen Ambitionen bei der Zerstörung der Natur rund um den Plettenberg bestimmt. Was Holcim in Dotternhausen für die Landschaftszerstörung selbst nicht gebacken kriegt, erledigen willig und prompt Landratsamt und Regierungspräsidium Tübingen. Die Bürger und ihre Sorgen spielen dabei überhaupt keine Rolle, wie die lange Chronologie der diversen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide seit 2016 belegt (Quelle).
Gewinner und Verlierer bei diesem Ringen zwischen Zerstörung und Erhalt von Natur und Bevölkerungsgesundheit sind betonklar zu erkennen: Auf der einen Seite stehen bombenfest und finanzstark der Weltkonzern Holcim, die Gemeindeverwaltung und der Gemeinderat, unterstützt durch die Anwaltssozietät iuscomm, Kooperationspartner des Kaninchenzüchtervereins Gemeindetags Baden-Württemberg e. V.
Auf der anderen Seite ringen Bürger und der Verein Natur- und Umwelt Zollernalb NUZ e. V. um Gehör, Stimme, Natur und die rettbaren Reste von Lebensqualität in der Schlichemtalgemeinde. Das ist natürlich völlig aussichtslos, immerhin aber doch recht unterhaltsam.
Die bewundernswerten und langjährigen Bemühungen der Aktiven des NUZ e. V. werden konterkariert durch eine bedauernswert schlecht gemachte Homepage und dem fehlenden Nachweis von Netzwerkverbindungen zu den großen Naturschutzverbänden und den Klimaaktivsten einige Generationen vorne dran.
(Erklär-Link für SaSe-Stammleser, die um das Phänomen rund um alte weiße Männer in Führungspositionen wissen, der auch die unüberwindbaren Hürden zu moderner Internetkommunikation und -präsentation daselbst erklärt.)
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Diese Kandidaten-Videos werden ihr Leben verändern!
Corona wütet ja sonst schon bundesweit und vernichtend; aber in Holcim-City führt die Pandemie den demokratischen Akt einer Bürgermeisterwahl restlos ad absurdum. Dabei türmen sich in Dotternhausen sage und schreibe fünf Bewerber auf, die in unterschiedlicher Deutlichkeit ihre Holcim-Unterwerfungsgesten („Konsens“; Filter nix gut; „Pacta sunt servanda“ etc.) artikulieren:
+ Eduard Brekardin (41; Lagerist und Betriebswirt; Ziel: Konsens; hier)
+ Michael Stadler (41; Softwareentwickler; betr. Holcim: von NUZ geforderte Filter nix gut; hier)
+ Ingo Mantik (37; Techniker; betr. Holcim: „Man findet immer eine gemeinsame Lösung“; hier)
+ Marion Maier (47; Hauptamtsleiterin Dotternhausen; betr. Holcim: pacta sunt servanda [ergo pro Konzern; die Verträge sind strittig – Anmerkg. K. B.]; hier)
+ Günter Melzer (31; Raumausstattermeister; betr. Holcim: die Suche nach einem Kompromiss; hier)
Eine offizielle Kandidatenvorstellung wird es in Dotternhausen gar nicht erst geben. Dafür erhielten die Kandidaten die Möglichkeit, sich in einem Video auf der Gemeinde-Homepage vorzustellen. Gebrauch davon machten aber nur drei der fünf Kandidaten.
Sie haben Depressionen? Melancholie? Zukunftsängste? Die Stimmung ist düster? Und mit der Verdauung klappt es auch nicht mehr so richtig? Bitte schauen Sie sich diese Videos an! Sie sind ein bombastisches Erlebnis, das auch Ihre Stimmung heben oder zumindest den Darm unter Lachsalven entleeren wird. Wird sie?
Die Kandidaten Ingo Mantik und Michael Stadler machen noch nicht einmal vom Angebot der virtuellen Kandidatenvorstellung Gebrauch. Wozu auch?
Stadler stellt statt eines Vorstellungsvideos einen Text auf der Gemeindeseite ein, in dem er das persönliche Gespräch mit den Bürgern anbietet. Eine grandiose Idee in Corona-Zeiten, wo die Bundesregierung vermutlich heute gerade einen sogenannten Wellenbrecher-Lockdown bundesweit beschließt.
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Kandidat Stadlers Einsatz für maximal wenig Wählerstimmen
Auch eher ungewöhnlich ist es für einen Bürgermeisterkandidaten, sich schon knapp zwei Wochen vor der Wahl einen Großteil der potentiellen Wählerstimmen vom Hals zu schaffen. Wenn meine Wahrnehmung der oben genannten Täter-Opfer-Spreizung in Holcim-City zutrifft, verprellt Stadler den Teil <Bürger> und <NUZ e. V.> durch folgendes kühnes Statement zum Streitthema Holcim rückstandslos:
Bleibt noch die Frage nach dem Zementwerk. „Holcim braucht uns, und wir brauchen Holcim“, sagt Stadler. Inzwischen hat er sich auch hinsichtlich der Abluftreinigung im Werk kundig gemacht. „Ich halte die vom Verein NUZ geforderte SCR-Filteranlage nicht mehr für die beste Lösung.“ Gemeinsam müsse man sich für eine geeignete Technologie einsetzen, wobei er als Bürgermeister als Vermittler zwischen der Firma, der Gemeinde und den Umweltaktivisten auftreten wolle.
(Schwarzwälder Bote 26.10.2020: „Dotternhausen „Zuhören ist viel wichtiger als nur reden„; Hervorhebg. K. B.)
Bei Holcim ergeben solche kühnen Absonderungen im vorauseilenden Gehorsam garantiert Pluspunkte? Und ich bin ganz sicher, dass Stadler als Softwareentwickler die entsprechende Expertise besitzt, um die in Diskussion stehende Filtertechnik beurteilen zu können und mit einem Schlag die jahrelangen Bemühungen von Bürger und NUZ in die Tonne zu treten. Bin ich nicht?