Wie in TS170/20 zur Senfgemeinde Tettnang berichtet, soll in einer Gemeinderatssitzung am 16. Dezember 2020 die Wahl zum/zur Ersten Beigeordneten der Stadt Tettnang stattfinden. Im Vorfeld dieser Wahl war es schon beim Auswahlverfahren der Bewerber zu „Unregelmäßigkeiten“ und jeder Menge Ärger gekommen.
Interessant ist nun die Frage, wie die Terminierung dieser wichtigen Gemeinderatssitzung mit Beigeordneten-Wahl unter den besonderen Bedingungen des „harten“ Lockdowns, der exakt ab 16. Dezember 2020 in Kraft tritt, zu bewerten ist.
Der auf diesem Blog (und vielfach in der SchwäZ) schon mehrfach zur Erwähnung gekommene Freie-Wähler-Gemeinderat Konrad Renz hat dazu eine sehr überzeugende Meinung: Er sieht den Grundsatz der Öffentlichkeit, der für öffentliche Gemeinderatssitzungen im Allgemeinen und für die Beigeordneten-Wahl im Besonderen gilt, „im Hinblick auf die auf den 16.12.2020 terminierte Sitzung mit dem TOP >Wahl eines Beigeordneten< nicht gewahrt“ (Renz Antrag auf Aufhebung des Wahltermins vom 16.12.2020).
Renz fordert Bürgermeister Bruno Walter, dessen Stellvertreterin Sylvia Zwisler sowie seine Ratskollegen dazu auf, „den behördlich angeordneten Lock Down [sic] genauso ernst (zu) nehmen wie den damit zwangsläufig verbundenen faktischen und rechtlichen Ausschluss der Öffentlichkeit in der anstehenden Gemeinderatssitzung“ (ibid.).
Der streitbare Gemeinderat fasziniert des Weiteren durch sprachlich fein ziselierte Spitzen, die in dieser Präzision nicht unbedingt in den (mir bekannten) Sprachgebrauch von Gemeinderäten der Region gehören. Man lese und genieße diese:
Der Gemeinderat und dessen Vorsitzender sollten auch nicht den Eindruck erwecken, den Tagesordnungspunkt trotzdem faktisch nichtöffentlich „durchzuziehen“, weil dies in gewisser Weise seiner bisherigen aufsichtsrechtlich beanstandeten Praxis entsprechen würde.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)
Übersetze ich: Die Tettnanger Verwaltungsspitze habe sich – aufsichtsrechtlich dokumentiert – schon in der Vergangenheit nicht an die Regeln gehalten und sollte doch bitte nicht anheben oder schon gar nicht erst den Eindruck erwecken (Stichwort: böser Schein), dieses regelwidrige Verhalten fortzusetzen zu wollen.
Saugut! Ich liebe das!
Unabhängig von dieser faszinierenden Sprachgewalt eines in Tettnang umstrittenen Gemeinderats erhebt sich natürlich die generelle Frage, wie es für die Zeit des harten Lockdowns mit Gemeinderatssitzungen aussieht. Im neuen Magazin die:gemeinde des Gemeindetag Baden-Württemberg (was man zu dem wissen sollte) war erst jüngst ein aufschlussreicher Artikel zu Gemeinderatssitzungen per Hybrid- oder Videokonferenz erschienen.
Die unterliegen gewissen Beschränkungen, die allerdings im Moment auch gegeben sind:
Fakt ist: Die virtuelle Ratssitzung hat seit Corona Einzug in die Rathäuser gehalten und ist seit Mai sogar gesetzlich legitimiert, wenn auch nur unter bestimmten Umständen. Denn im Mai hatte der Landtag von Baden-Württemberg in einer richtungsweisenden Entscheidung erlaubt, Ratssitzungen per Videokonferenz durchzuführen – allerdings nur in Ausnahmefällen wie Pandemien oder Naturkatastrophen. Außerhalb dieser Notsituationen dürfen die Gremien zwar auch virtuelle Beschlüsse fassen, allerdings nur solche „einfacher Art“, solche also, die für Bürger nur unerhebliche Auswirkungen haben und die keiner mündlichen Erörterung bedürfen. In der Gemeindeordnung wurde der Paragraf 37 („Beschlussfassung“) um den Paragraf 37a erweitert („Durchführung von Sitzungen ohne persönliche Anwesenheit der Mitglieder im Sitzungsraum“). Mit diesem Beschluss machte sich Baden-Württemberg zum digitalen Vorreiter.
(die:gemeinde 09.11.2020: „So funktionieren Gemeinderatssitzungen per Hybrid- oder Videokonferenz“; Hervorhebg. K. B.)
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Bürgermeister Walter will es um jeden Corona-Preis durchziehen
Der Tettnanger Wahlkrimi setzt sich unbeeinträchtigt von solchen Überlegungen fort. Und zwar in den bisher schon bekannten Gleisen der Marke „auf Biegen und Brechen“.
Bürgermeister Bruno Walter reagiert auf oben genannten Antrag von Konrad Renz in einer Mail an alle Stadträte wie folgt:
Anzumerken ist, dass ein solcher Antrag nur im Rahmen der Sitzung als Antrag im Rahmen der Geschäftsordnung gestellt werden kann. Über diesen ist dann ggf. in der Sitzung abzustimmen.
(Zitat aus der E-Mail von Bürgermeister Bruno Walter an die Stadträte am 15.12.2020)
Da beißt sich die Katze natürlich in den Schwanz, wenn sich die Gemeinderäte erst unter der Gefahr einer Corona-Infektion treffen müssen, um dort dann zu beschließen, dass man sich wegen der Corona-Gefahr lieber nicht treffen will.
Tocktock? Somebody at home?
Klar ist: Walter will Sitzung und Wahl auf jeden Fall durchziehen:
Die Sitzung wird entsprechend den Bedingungen der Corona-Verordnung durchgeführt. Sitzungen der politischen Gremien sind ausdrücklich zugelassen und nicht unmittelbar vom Lockdown betroffen.
Es wird deshalb für Zuhörerinnen und Zuhörer eine begrenzte Anzahl von Plätzen geben. Wobei ganz grundsätzlich die Anzahl der Zuhörerinnen und Zuhörer von der Größe eines Sitzungsraumes abhängig ist, auch in normalen Zeiten.
Darüber hinaus ist die Presse ebenfalls anwesend und damit über die öffentlichen Medien eine Information der breiten Öffentlichkeit gewährleistet.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)
Um diese Ankündigung richtig einordnen zu können, sei auf den zeitgleich erschienen SchwäZ-Artikel „Die Tage davor: So wirkt sich der Shutdown in Tettnang aus“. Darin appelliert die Sprecherin der Stadt Tettnang, Judith Maier, wie folgt an die Bürger:
Behörden: Das Tettnanger Rathaus wird über die Feiertage geöffnet bleiben, erklärt Judith Maier. Allerdings sind Besuche nur nach vorheriger Terminabsprache möglich. Maier: „Wir appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger, zu Hause zu bleiben und nur bei Notfällen die Möglichkeit des Rathausbesuchs wahrzunehmen.“ Es werde nur eine Minimalbesetzung geben.
(Schwäbische Zeitung 14.12.2020: „Die Tage davor: So wirkt sich der Shutdown in Tettnang aus“; Hervorhebg. K. B.)
Die Stadt Tettnang appelliert an ihre Bürger, unbedingt zu Hause zu bleiben und veranstaltet zeitgleich eine wichtige Gemeinderatssitzung mit Beigeordneten-Wahl, für welche Öffentlichkeit zwingend vorgeschrieben ist. Wie nennt man das?
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Walters peinlicher Weg der kritisierten Ämterpatronage
Auch dazu gibt es schon wieder eine souveräne schriftliche Stellungnahme vom Träger der Goldenen Ehrennadel des Hopfenpflanzerverbandes: Konrad Renz. Der antwortet dem Bürgermeister, seiner Stellvertreterin und den Ratskollegen auf obige Mail wie folgt:
Erwartet hätte ich, dass Sie vielleicht kurz innehalten auf Ihrem peinlichen Wege, Ihren Weggefährten in die Position des Beigeordneten zu hieven.
(Gemeinderat Konrad Renz 15.12.2020 Antrag auf Aufhebung des Wahltermins vom 16.12.2020, Erwiderung; Hervorhebg. K. B.)
Mit „Weggefährte“ gemeint ist mutmaßlich der Tettnanger Hauptamtsleiter Gerd Schwarz, der sich auf der Liste der Bewerber für den Beigeordneten-Posten in der Hopfenstadt findet. Dessen Kandidatur wirft für den Fall Fragen auf, sollte er (erwartungsgemäß) gewählt werden. Dazu hatte SPD-Gemeinderat Hermann König schon einmal eine E-Mail-Anfrage an Bürgermeister Walter gestellt. Denn gemäß Paragraf 51 der Gemeindeordnung Baden-Württemberg ist eine Überschneidung beider Ämter (i. e. Hauptamtsleiter in Personalunion mit Erster Beigeordneter) nicht gültig.
Zwar soll in Tettnang eine Umwidmung/Abschaffung der Hauptamtsstelle angedacht worden sein, doch sei bisher davon in keiner Sitzungsunterlage die Rede, argumentiert König in seiner Anfrage weiter und verweist auf diesen SchwäZ-Artikel. Der SPD-Rat befürchtet deshalb erneut ein Einschreiten der Kommunalaufsicht beziehungsweise die Ungültigkeit der Wahl.
Hier schlösse sich dann wieder der Kreis zu dem süffisanten Renz-Diktum über die Tettnanger Verwaltungspraxis im Allgemeinen: „[…] seiner bisherigen aufsichtsrechtlich beanstandeten Praxis entsprechen würde“.
Eine Antwort oder Stellungnahme des Bürgermeisters auf dieses Aufklärungsbegehren des SPD-Stadtrates ist dieser Redaktion nicht bekannt. Und auch die SchwäZ verlautbart sich zu diesem interessanten Aspekt der Beigeordneten-Wahl in keiner Weise. Wie käme eine Tageszeitung auch dazu, diese vom geltenden Recht untersagte Personalunion zu thematisieren? Tse, tse, tse.
Apropos böser Schein, ein in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zentraler Begriff: Mit der gesamten turbulenten Vorgeschichte zu dieser anrüchigen Beigeordneten-Wahl scheinen mir Bürgermeister Bruno Walter und seine Spießgesellen genau diesen nach Kräften auf Hochglanz polieren zu wollen?
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Muss Corona persönlich die Beigeordneten-Wahl in Tettnang verhindern?
Inzwischen vernimmt diese Redaktion gerüchteweise, dass einige (Anzahl unbekannt) Tettnanger Gemeinderäte Corona-positiv getestet seien. Deshalb komme ich zu dem gefährlich zynischen Schluss, dass es allenfalls noch dem Virus persönlich gelingen könnte, diese mit inzwischen tausend Hinkebeinchen daherhumpelnde Beigeordneten-Wahl so lange aufzuschieben, bis die Öffentlichkeit wieder ungehindert an der dazugehörigen Sitzung teilnehmen kann.
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Das Schluss-Bonbon
Ein Bonbon habe ich aber noch im Köcher: Renz mailt seinen „Antrag auf Aufhebung des Wahltermins“, der sich bei den Adressaten ja explizit auch an alle Ratskollegen wendet, an die zuständige Sachbearbeiterin in der Hauptverwaltung, Geschäftsstelle Gemeinderat. Die reagiert wie folgt: Sie leitet das Schreiben an den Bürgermeister weiter mit der Frage: „Soll ich es an den GR weiterleiten?“
Weißte Bescheid! DAS sind keine regulären Abläufe, wenn eine Sachbearbeiterin erst den Bürgermeister um Erlaubnis fragt, ob eine Mail eines Gemeinderats an seine Ratskollegen diesen Ratskollegen auch tatsächlich weitergeleitet werden soll.
So sieht’s (nicht nur) in Tettnang aus.