TS92/20: Spaichingen: Hänschens krümelgrelle Hinterlassenschaft

In Spaichingen Sommer 2020 ist es ein bisschen wie nach dem Krieg: Die Überlebenden zusammen mit dem neuen Statthalter versuchen sich nach dem bitterhart erkämpften Abzug des früheren Bürgermeisters Hans-Georg Schuhmacher einen Überblick über die Schäden zu verschaffen. Nur formal mittendrin, aber spürbar doch am Rande stehend, verrenken sich Schuhmachers frühere Wasserträger im Gemeinderat beim wenig glaubwürdigen „Das haben wir nicht gewusst“. Eigener Dummheit geschuldet, sind jene, von denen man nicht sicher weiß, ob sie nur Claqueure oder doch Profiteure waren,  immerhin durch einen (tatsächlich) offenen Dankes-Brief dem abziehenden Sonnenkönig hinterher namentlich erkennbar.

Nicht zuletzt durch den Heuberger Boten erhält der Aufarbeitungskrimi nahezu belletristische Qualitäten. Die schon zu Kriegszeiten erprobte Redakteurin Regina Braungart versucht seit Wochen, den noch gar nicht an den Frieden gewöhnten Spaichingern einen groben Schadensüberblick zu vermitteln. Der neue Bürgermeister-Besen aus dem nachbarlichen Immendingen – Markus Hugger (CDU) – muss seit dem 1. Mai 2020  Schaufelbagger-Arbeit leisten. Dazu zieht er auch weitere Kräfte heran: „Rechtsaufsicht und GPA sollen Ungereimtheiten aufklären“ titelt der Heuberger Bote am 27. Mai 2020. Der staunende und möglicherweise völlig naiv an eine funktionierende Kommunalaufsicht glaubende Bürger erfährt, dass jede Menge Gemeinderatsprotokolle insbesondere für den Zeitraum vom 1. Juli 2019 (also nach der Kommunalwahl 2019) bis 17. Februar 2020 wahlweise fehlen, halbfertig oder gar nicht unterzeichnet sind. Von acht Gemeinderatssitzungen liegen überhaupt keine Protokolle vor. Sie sind ähnlich „weg“ wie die 1,9 Milliarden Wirecard-Euro. Eine Katastrophe. Aber anders als bei Wirecard gerät in Tuttlingen bisher die Finanz-/Kommunalaufsicht nicht ins Visier.

Die Gemeinderäte der Fraktion Pro Spaichingen und der Grünen sind fein raus, denn sie hatten schon seit Monaten das Fehlen dieser wichtigen Dokumente angemahnt. Die Räte der anderen Fraktionen versuchen es derweil mit den bewährten Verfahren des Verantwortungsschachs.

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Homöopathische Lexik: „nicht korrekte“ Auftragsvergabe
Während das Verschwundene-Gemeinderatsprotokolle-Desaster noch nicht einmal ansatzweise geklärt ist, konfrontiert der Heuberger Bote die Spaichinger schon mit der nächsten Hiobsbotschaft: „Auftragsvergabe für den Waldkindergarten war nicht korrekt“.

Nebenbei sei der Kollegin das Kompliment dafür überreicht, dass sie für alle diese Sauereien immer noch nicht justiziable Euphemismen findet: „nicht korrekt“. Das ist auch eine Leistung! Es gibt durchaus Spaichinger Gemeinderäte, die für Schuhmachers Machenschaften und die seiner Räte-Entourage eine klarere und treffendere, wenn auch juristisch eventuell problematischere Sprache finden (zitiert hier). Der neue Besen mahnt diesbezüglich zur Mäßigung (hier).

Bei der Klärung dieser „Inkorrektheit“ kommt erschwerend hinzu, dass nicht nur der verantwortliche Ex-Bürgermeister inzwischen verduftet ist, sondern zusammen mit ihm auch die damalige Bauamtsleiterin Petra Schmidtmann-Deniz. Geschichtskenner raten zum Blick nach Argentinien?

Nämlich: Vorberatungen und Grundsatzbeschluss zum Waldkindergarten sollen nichtöffentlich gefallen sein. Wem fiele an dieser Stelle nicht das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Az.: 3 K 3574/19) zur Causa Ummendorf ein? Was sind das für Gemeinderäte, die in solchen nichtöffentlichen Sitzungen mit solchen öffentlichen Themen nicht merken, dass etwas nicht stimmt?

Der Waldkindergarten-Krimi nimmt dann noch viele weitere interessante, gelegentlich krümelgrell wirkende Wendungen und Windungen, die der Heuberger Bote versucht, nach besten Wissen und Gewissen nachzuerzählen. Recht eigentlich aber gehören sie in die Hände eines Sebastian Fitzek!

Die Gemeinderäte der Fraktionen Freie Wähler und der FDP sowie der eine Hans-Jochen-Vogel-Verräter, die allesamt dem Kriegsherrn noch hinterherdanken mussten, standen ihrem Meister vermutlich so nahe, dass sie die Vorgänge deshalb nicht erkennen konnten? Wer unter dem Eifelturm wurzelt, kann dessen Spitze nicht sehen? So wird es wohl gewesen sein!
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Spaichinger Gemeinderatssitzung unbekannten Datums. Auch die hier abgebildeten Räte kann ich namentlich nicht zuordnen. An den kaum geöffneten Augen erkennbar, könnte es sich möglicherweise um Räte der Fraktionen Freie Wähler, FDP oder den einen SPD-Mann handeln? Wer so wach in die Welt blickt, kriegt natürlich gar nicht mit, dass keine Protokolle gefertigt oder verteilt oder gar veröffentlicht werden? Oder was sonst so an krümelgrellen Machenschaften läuft?
Foto: Schleifchen007 / pixelio.de

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Heuberger Bote segelt weiter auf dem sicheren Floß „inkorrekt“
In TS78/20 hatte ich mir für die Spaichinger Nachkriegszeit recht unklug das Bild der aus dem Sumpf auftreibenden Whisky-Fässer aus der Westernkomödie „Vierzig Wagen westwärts“ angehext. Auch wenn die jetzt aufpoppenden Sauereien des früheren BüMs durchaus berauschend sind, ist die Whisky-Metapher völlig fehl am Platze. Denn was Schuhmachers bisher in der Anzahl noch nicht einmal grob feststellbare Fässchen beherbergen, geht eher in Richtung Gülle. Siehe dazu auch die einschlägigen Leser-Kommentare unter den diversen Berichten des Heuberger Boten.

Die SchwäZ-Redakteurin Regina Braungart klammert sich in der weiteren Berichterstattung – äußerungsrechtlich unbedenklich – an die diversen Negationen [1] des Adverbs „korrekt“. Die Spaichinger Bürger und die schon in der Vor-Besen-Zeit auf Krawall gebürsteten, weil ihr Mandat demokratisch ausübenden Spaichinger Räte befürchten aber möglicherweise zurecht: Sie wird dieses Adverb und dessen Synonyme –  falsch, fehlerhaft, unrichtig, unsachgemäß, verkehrt, unangemessen, unanständig, unfair, ungebührlich (veraltet), ungehörig (veraltend), unschicklich (veraltet), vorschriftswidrig, überkorrekt vermutlich noch häufiger brauchen?

Nach dem Wortbildungsmuster der Satire-Puppe SCHROEDER und mit leicht dramatisierender Semantik schlage ich dagegen den Neologismus krümelgrell vor?

Im jüngsten Heuberber-Bote-Artikel „Verschollene Protokolle offenbaren unkorrekte Praxis“ vom 26. Juni 2020 isst Braungart dann doch Austern mit Sauerkraut.

Verständlich, denn sie wird Augen- und Ohrenzeugin der aufrüttelnden Erschütterung von Bürgern (nach dem Motto „lieber zu spät als nie“?) angesichts der Kriegsschäden.

Und die kriegsferne Beobachterin fragt sich staunend, wo diese Empörungsträger eigentlich alle waren, als die Räte von Pro Spaichingen und Grünen immer wieder auf die offensichtlichen Missstände in Rathaus und Gemeinderat hingewiesen hatten:

„Wie ist es möglich, dass Gemeinderäte nicht imstande sind, die fehlenden Protokolle anzufordern? Wie ist es möglich, dass sie nicht zusammen aufstehen und sagen: Wenn es kein Protokoll gibt, dann gibt es auch keine Sitzung?“ Ein sichtlich aufgebrachter Bürger, Rudi Irion, nutzte die Fragestunde zu Beginn der jüngsten Ratssitzung in der Stadthalle, um den Finger in die Wunde „verschwundene Protokolle“ zu legen.
(Schwäbische Zeitung i. e. Heuberger Bote 26.06.2020: „Verschollene Protokolle offenbaren unkorrekte Praxis“)

Tja, wie isses denn nur möchlich? Lesen Sie diesen Blog! Dann wissen Sie es.

Die fehlenden Protokolle der Gemeinderatssitzungen haben natürlich Folgen. Weil, wie der Spaichinger Bürgermeister Markus Hugger den Empörten in der jüngsten Gemeinderatssitzung erklärt: „auch nicht dokumentierte Beschlüsse gelten als Beschlüsse“. Misslich wird die Lage dann, wenn nicht mehr nachvollziehbar ist, was denn bitte beschlossen wurde. Und Hugger hält auch mit dem schlimmsten Fall nicht hinter den Berg: Neufassung! Der Beschlüsse.

Immerhin scheint der Druck auf die oben zitierten Dankessänger inzwischen so gestiegen zu sein, dass sie sich gar persönlich an der Schadensaufklärung beteiligen:

Isabella Kustermann (Freie Wähler) sagte, sie sei immer davon ausgegangen, dass eine Protokollantin dabei gewesen sei. Sie habe inzwischen jedoch Schuhmacher angerufen und nach den fehlenden Protokollen gefragt. Er habe gesagt, dass er sie schicken werde, wenn die Stadtverwaltung auf ihn zukommen werde. Sie seien teilweise in handschriftlicher Konzeptform verfasst.
Ähnlich argumentierte Leo Grimm (FDP) mit seiner Frage an die Verwaltung. Ob seitens der Verwaltung ein Schreiben an Schuhmacher geschickt worden sei mit einer Fristsetzung? „Ist die Frist abgelaufen?“ Es sei auf städtischen Laptops mitgeschrieben worden, da müssten die Aufzeichnungen doch sein.
(ibid.; Hervorhebg. K. B.)

So, so, Frau Kustermann ist davon ausgegangen, dass eine Protokollantin anwesend gewesen sei. Ihre eigene Anwesenheit hat nicht etwa dazu geführt, sich per Augenscheinnahme davon überzeugen zu können, dass eine solche und genderinkorrekt natürlich nur in weiblicher Form denkbare Knechtin anwesend war? Haben diese oben zitierten Räte möglicherweise mit einer permanent beträufelten Chloroform-Maske an den damaligen Sitzungen teilgenommen?

Die Angabe, Schuhmachers Protokolle seien „teilweise in handschriftlicher Konzeptform verfasst“, ist eine Steilvorlage für das nächste Spaichinger Laienspieltheater?

Apart auch die strategische Volte von FPD-Grimm (der, welcher meine Fragen nicht beantwortet), dem neuen Besen eine Kerbe in den Stil kratzen zu wollen.

Alexander Efinger (Grüne) und Harald Niemann (Pro Spaichingen) leisten dann entsprechende Aufklärungsarbeit mit der Nacherzählung ihrer Sisyphos-Bemühungen, ein rechtskonformes Arbeiten des Gemeinderates zu gewährleisten. Was – siehe die einschlägige Heuberger-Bote-Berichterstattung dazu – vornehmlich von den Räten der FDP und der Freien Wähler immer wieder diskreditiert worden war.

Die CDU im Spaichinger Rat versucht es offenbar über den Weg der Geschichtsvergessenheit und der Schwamm-drüber-Methode. Denn der Vorschlag von Stefan Stitzenberger, „einfach nach vorne zu schauen“, scheint wenig zielführend, wenn vorne nichts ist: also zum Beispiel die Protokolle der Beschlüsse, welcher dieser Abenteuer-Gemeinderat in den vergangenen Jahren gefasst hat und welche die Grundlage für „vorne“ bieten! Die Spaichinger CDU positioniert sich damit schwer unter Geisterfahrer-Verdacht?
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Aufnahme des Souterrains von Bürgermeister Markus Hugger, der den Spaichinger Augias-Stall derzeit auszumisten versucht. Wie zu sehen: Er kniet sich echt rein!
Foto: Jerzy Sawluk / pixelio.de

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Ich habe mir jetzt erst mal einen ganzen Stapel Fitzek-Bücher bestellt, damit ich erzählerisch gut gerüstet in die Be-Senfung der mutmaßlich noch zahlreich auftreibenden Gülle-Fässer in Spaichingen ziehe! Obwohl ich persönlich ja eher ein Stephen-King-Fan bin und aktuell darüber nachdenke, ob der Erhabene für seinen Roman „Die Arena“ möglicherweise (über Zeit und Raum hinweg) von Spaichingen inspiriert wurde?

Die Leidenschaft bei der Be-Senfung der Spaichinger Nachkriegszeit ist weniger der ohnehin verwerflichen Freude am kapitalen Schaden für die kleine Stadt geschuldet als der irrationalen Hoffnung, dass Gemeinderäte in Ummendorf, in Wain und meinen anderen Berichtsgemeinden erkennen, dass sie sich möglicherweise für den gemeinsam gestalteten Murks auch dann noch verantworten müssen, wenn ihr Feudalherr schon längst in der Demokratiesonne dahingeschmolzen ist. Ich möchte es doch wenigstens versucht haben!
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[1] Negationen des Adverbs „korrekt“: Drei Varianten sind möglich: mit „nicht“, mit dem Präfix „un-“ und mit dem Präfix „in-“. Der Duden lässt zwar beide Präfix-Negationen zu, Bildungsbürger und arrogante Linguistinnen jedoch schmähen das deutsche „un-“ vor dem aus dem Lateinischen stammende „korrekt“. Wer bitte isst Austern mit Sauerkraut?

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