Das Presseecho auf die Gerichtsentscheidung in Sachen Öpfingen-Baupilot GmbH macht Mut. Am ausführlichsten hat sich die freie Journalistin Katy Cuko mit dem „bombigen Beschluss“ des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Az.7 K 3840/20) auseinandergesetzt.
Über ihren Artikel „Verwaltungsrichter stoppen Bauplatzvergabe“ im Staatsanzeiger Baden-Württemberg besteht auch die berechtigte Hoffnung, dass die wichtige Kunde exakt jene erreicht, die gewarnt sein sollten: Bürgermeister*innen und Gemeinderät*innen. Wenn es nach mir ginge, müssten alle Gemeinderäte in Baden-Württemberg unter Androhung einer herben Geldstrafe dazu gezwungen werden, den Beschluss oder mindestens eine Zusammenfassung dessen zu lesen. Mit nachgeschalteten Verständnisfragen …
Denn leider gibt es parallel dazu auch immer wieder lokale Presseberichte darüber, wie Kommunen ihre Bauplätze fröhlich weiter mit der Baupilot GmbH vermarkten. Deren „Gschmäckle“ ist legendär. Ganz offensichtlich ohne dass die Entscheider, die, wie aus obigem Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (VG Sig) zu lernen war, ja oft zeitgleich die Profiteure der rechtswidrigen Bauplatzvergabe sind, wüssten, was sie da gerade tun. Beispiel: die Gemeinde Hochdorf im Landkreis Biberach. Die SchwäZ-Redakteurin Katrin Bölstler berichtet am 29. Januar 2021: „Alle 24 Bauplätze in diesem Hochdorfer Baugebiet auf einen Schlag vergeben“, ohne den Lesern auch nur andeutungsweise zu verraten, dass diese Bauplatzvergabe möglicherweise ebenfalls rechtswidrig sein könnte. Wozu abonniert man eine Tageszeitung, wenn man aus ihr nicht wenigstens erfährt, dass Krieg ist?
Für mich ist es schwer vorstellbar, dass eine Redakteurin ausgerechnet im Landkreis Biberach (bedenke die Causa Ummendorf!) noch nicht mitgekriegt haben soll, was das VG Sig da so grundsätzlich zu der Bauplatzvergabe mit dem privaten Anbieter Baupilot GmbH zu urteilen hat?
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Wann kommt die Klagewelle?
Hoffnung erwächst hier aus dem genannten Presseecho auf den Gerichtsbeschluss – jenseits der SchwäZ. Auf die vierte Gewalt im ländlichen Raum allgemein und im Landkreis Biberach im Besonderen ist nicht zu zählen. Denn nur durch unabhängige mediale Berichterstattung (also ungleich Lokalberichterstattung SchwäZ) wachsen die Chancen, dass sich Bauplatz-Bewerber, die in Hochdorf oder in einer der anderen etwa 100 Kommunen in Baden-Württemberg, die mit Baupilot kungeln, nicht zum Zuge gekommen sind, auf den Rechtsweg begeben.
In der Causa Ummendorf hatte das VG Sig angesichts der rechtswidrigen Bauplatzvergabe eine Staatshaftung ausgeschrieben (hier). Eine juristische Expertise zu der Frage, inwieweit Kommunen, die ihre Bauplätze zusammen mit Baupilot GmbH möglicherweise rechtswidrig vergeben, für die Schäden – wie zum Beispiel entgangenes Baukindergeld – einstehen müssen, liegt noch nicht vor. Wäre aber interessant.
Abonnenten der SchwäZ in Hochdorf und andernorts, die sich empören, dass ihnen ihre Tageszeitung diese wichtige Information vorenthält, wenden sich bitte direkt an die zuständigen Redaktionen.
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Eine regelrechte Klagewelle gegen die Gemeinden, die ihre Bauplätze mit Baupilot vergeben haben, würde ich persönlich mir sogar wünschen. Der Weg wäre bitter, lang und käme den Steuerzahler teuer. Aber anders lernen die Entscheider-Jungs (i. e. Bürgermeister und Gemeinderäte) es sonst leider offensichtlich nicht.
Der phantastische Staatsanzeiger-Artikel von Katy Cuko ist online nicht verfügbar. Das kompensiert aber ganz hervorragend ihr Südkurier-Artikel vom 28. Januar 2021: „Bauplatz-Vergabe einer Gemeinde per Baupilot nicht rechtmäßig: Signalwirkung für andere Kommunen“.
Bevor wir uns lustvoll in dem fast sechs Seiten langen Beitrag suhlen, hier das für diesen Blog bemerkenswerte Eingeständnis, dass ausgerechnet der Südkurier und schon zum zweiten Male bella figura beim Abarbeiten des Themenkatalogs seriösen Journalismus‘ kritischer Potenz macht (das andere Thema in 2 Versionen hier und hier). Allerdings ist die Autorin solcher Licht-Artikel beim Südkurier auch immer dieselbe (und bisher einzige): Katy Cuko.
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Der Gemeindetag promotet Baupilot seit Jahren
Die freie (!) Journalistin hat dann auch diejenigen Institutionen zum Statement gebeten, die maßgeblich am „Erfolg“ (im Sinne von süßer die Kassen nie klingeln) der Baupilot GmbH beteiligt waren. Dazu gehört vorrangig der noch nicht einmal gemeinnützige Verein Gemeindetag Baden-Württemberg (GTBW) (hier). Der GTBW ist meiner Meinung nach ohnehin nichts anderes als die sehr erfolgreiche Lobby-Organisation der Bürgermeister selbst. Kaum jemand weiß, dass es sich dabei tatsächlich nur um einen Kaninchenzüchter-Verein-Klon handelt, der von nichts und niemanden kontrolliert wird, sich über die Beiträge der Mitgliedskommunen aus Steuergeldern finanziert, aber jeder demokratischen Legitimation entbehrt und auch von jeder Rechenschaftspflicht (außer gegenüber der eigenen Klientel) befreit ist.
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Gericht konstatiert Begünstigung des Bürgermeisters
Für den Fall Öpfingen kommt ja zu allen anderen Aspekten noch hinzu, dass das VG Sig in seinem Beschluss klar formuliert hat, wie sich Bürgermeister Rainer Braun vermittels des Punktesystems zur Bauplatzvergabe hat begünstigen lassen bzw. hätte begünstigen lassen wollen. Gleich mehrfach: durch Punktegewinn vermittels eines ihm zugewiesenen „Bürgerrechts“, durch seinen Arbeitsplatz im Ort sowie für seine ebenfalls punkteproduktive Tätigkeit im Kreistag als „Ehrenamt“. Und Cuko traut sich auch durchaus und ist dabei durch den Beschluss abgesichert, den heiklen Begriff „Begünstigung“ zu verwenden. Der ist deshalb explosiv, weil es sich bei Begünstigung um eine Straftat handeln kann.
Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen.
Das Steigerungspotenzial der konkretisierten Tatbestandsfeststellungen hinsichtlich der Rechtsverstöße von Bürgermeistern beim VG Sig ist enorm. In der Causa Ummendorf waren es derer gleich vier (hier noch einmal schön übersichtlich), allerdings ohne strafrechtliche Dimension.
Der Beschluss in der Causa Öpfingen geht jetzt einen mutigen Schritt weiter, nennt die Vorteilsnahme-Dinge beim Namen, auch wenn die Begünstigung „versteckt“ gewesen sei – was ja bei Straftaten grundsätzlich ein verbreitetes Phänomen ist?
Vergleichbare Regelungen finden sich in den bei umliegenden Gemeinden verwendeten Bauvergaberichtlinien nicht, weshalb sich der Kammer durchaus die Frage stellt, warum ausgerechnet die Antragsgegnerin [i. e. die Gemeinde Öpfingen – Anmerkg. K. B.] von einer derartig komplizierten Regelung Gebrauch machen wollte. Auch wenn es hierzu keine greifbaren Hinweise in den Verfahrensunterlagen gibt, liegt der Verdacht nahe, dass es sich hierbei um eine an das konkrete Verfahren angepasste Regelung handelt, um den sich um einen Bauplatz bewerbenden Bürgermeister bei der Vergabe zu begünstigen. Eine solche versteckte Begünstigung faktisch einer einzigen in Betracht kommenden Person ist weder transparent noch sachlich rechtfertigbar.
(Verwaltungsgericht Sigmaringen Az.: 7 K 3840/20 Beschluss vom 21.12.2020; Hervorhebg. K. B.)
Gemeinderäte, die solche Begünstigungen ihres Bürgermeisters erst nicht verhindern und diese dann nach einem vorliegenden Gerichtsbeschluss auch noch kleinreden, also die Gemeinderäte in Öpfingen, sind natürlich ein Totalausfall (hier). Ehrenamtlich tätige Räte kann man wegen Mandatsverrat leider nicht belangen; man kann und sollte sie aber auf keinen Fall wiederwählen? Die in Öpfingen praktizierte Missachtung von gesprochenem Recht, die sich in dieser Sturköpfigkeit ausdrückt, belegt aber auch, dass die verantwortlichen Gemeinderäte tatkräftig und unbelehrbar an solchen Rechtsverletzungen beteiligt sind.
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Ist Rechtswidrigkeit die Alternative des GTBW zur Bürokratie?
Aber der GBTW wäre nicht der GTBW, wenn er nicht versuchen würde, von solchen dramatischen richterlichen Bewertungen der eigensüchtigen Faxen seiner Bürgermeister abzulenken. Was kommt in diesem Zusammenhang beim Bürger immer gut? Richtig: die Mär vom „bürokratischen Monstrum“. Und so zitiert der Südkurier Kristina Fabiancic-Müller, Sprecherin des GTBW, wie folgt:
Für die Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg ist es wichtig, dass die rechtssichere Vergabe von Bauplätzen nicht zu einem bürokratischen Monstrum verkommen darf.
(Südkurier 28.01.2021: „Bauplatz-Vergabe einer Gemeinde per Baupilot nicht rechtmäßig: Signalwirkung für anderen Kommunen?“)
Das klingt schon fast populistisch? Ein Gericht stellt zum wiederholten Male fest, dass eine kommunale Bauplatzvergabe rechtswidrig ist, und der GTBW warnt in diesem Zusammenhang vor Bürokratie? Da schlagen alle AfD-Herzen höher! Der vielleicht nicht zulässige Umkehrschluss des GTBW lautet dann: lieber Rechtswidrigkeit als Bürokratie?
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Miete oder Kauf ist Bürgermeistern nicht zumutbar?
Meiner These nach ist der GTBW ein ernst zu nehmender und sehr mächtiger Feind des Bürgers und Steuerzahlers immer dort, wo dessen Interessen denen der Bürgermeister entgegenstehen. Siehe oben! Ganz besonders bei der Bauplatzvergabe (zum Beispiel auch zugunsten befangener Gemeinderäte der örtlichen Feuerwehr).
Wie groß diese Entfernung aber tatsächlich ist, lässt sich an einem weiteren Kommentar des GTBW zum Öpfingen-Beschluss konkret ablesen. Der liegt uns allerdings nur in indirekter Rede vor. Kuko bezieht sich auf den Output der GTBW-Sprecherin mit dem Wie-Echtnamen:
Der Beschluss hätte zur Folge, dass neugewählte Bürgermeister nicht mehr in die Gemeinde ziehen könnten – was viele Menschen aber erwarten.
(ibid.)
Zuerst das Positive: Für Bürgermeisterinnen ergibt sich dieses Problem in der Wahrnehmung des GTBW offensichtlich nicht? Ansonsten macht die Bemerkung eher sprachlos. Wir sehen zunächst von Folgendem ab: Die Erwartung vieler Bürger, ihr Bürgermeister müsse auch im Ort wohnen, ist völlig aus der Zeit gefallen und lässt sich heutzutage durch nichts mehr rechtfertigen. Beim gegenwärtig üblichen Rathaus-Hopping einiger Bürgermeister*innen kommen die sonst auf beträchtliche Quantitäten an eigenen Baugrundstücken quer durchs Ländle. Merkste was?
Darüber hinaus legt diese Äußerung des GTBW den Rückschluss nahe, dass Bürgermeistern offensichtlich nicht das zuzumuten ist, was für alle anderen Arbeitnehmer gilt: Eine Wohnung oder ein Haus zu mieten oder zu kaufen. Auf die Idee kommt der GTBW gar nicht erst.
Man stelle sich eine vergleichbare Situation für den Normalbürger vor, dessen Interessen nicht von einem so mächtigen Verein wie dem GTBW vertreten werden. Der Logistikexperte Max Mustermann ist vorübergehend arbeitslos geworden, weil sein Arbeitgeber, ein Paketzusteller, durch das neue Amazon-Verteilzentrum in Meßkirch pleitegegangen ist.
Nun bietet ihm das Arbeitsamt eine auf seine Qualifikation passende Stelle in Öpfingen an. Die muss Mustermann leider ablehnen, weil er in Öpfingen keinen Bauplatz bekommen hat. Den hat er übrigens deshalb nicht bekommen, weil sich der Bürgermeister selbst begünstigen wollte und ihm das Baugrundstück vor der Nase weggeschnappt hätte – wenn das VG Sig nicht eingeschritten wäre.
Die Reaktion des/der Arbeitsvermittler*in beim Arbeitsamt auf diesen Mimimi-Hinweis Mustermanns stelle ich mir dann ungefähr so vor:
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