Auch nach der Verhandlung in der Causa Ummendorf (Bauplatzvergabe) am 10. März 2020 vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen (VG Sig) überschlagen sich die Ereignisse immer noch. Inzwischen liegt – wie vom VG Sig in der Verhandlung angekündigt – der sogenannte Tenor vor. Er lautet:
die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hat im gestern verhandelten Verfahren 3 K 3574/19 (Bauplatzvergabe Ummendorf) folgende Entscheidung getroffen:
Urteil vom 10.03.2020:
„Es wird festgestellt, dass die Bauplatzvergaberichtlinien für das Baugebiet Heidengäßle und für zwei weitere Bauplätze im Baugebiet Mühlbergle II vom 24.09.2018 rechtswidrig waren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte 4/5 und die Kläger 1/5 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese nicht zu tragen haben.“Die vollständige Entscheidung folgt in den kommenden Wochen.
Die Beteiligten können binnen einen Monats nach Zustellung der vollständigen schriftlichen Entscheidung einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellen (=Rechtsmittel).
(Verwaltungsgericht Sigmaringen, Pressemitteilung vom 11.03.2020; Hervorhebg. K. B.)
Wie nicht anders zu erwarten, wird der freilich irritierende Passus „Im Übrigen wird die Klage abgewiesen“ von der Gegenseite und namentlich dem Prozessbevollmächtigten der Gemeinde Ummendorf, Professor Dr. Andreas Staudacher, sofort und mit Entlastungsfunktion instrumentalisiert, um die offensichtliche Ohrfeige des Gerichts für Bürgermeister Klaus B. Reichert etwas abzupolstern. Für das Demokratie-Thema dieses wichtigen Rechtsstreits (und damit für diesen Blog) allerdings spielt der Teil der Klage, der abgewiesen wurde – die sogenannte Verpflichtungsklage -, eine nachgeordnete Rolle.
Spannend aber bleibt es, bis die endgültige Urteilsbegründung vorliegt. Der ist dann hoffentlich zu entnehmen, WARUM die Bauplatzvergabe rechtswidrig war. In der Verhandlung am vergangenen Dienstag spielten dabei zwei Aspekte eine Rolle: a) der Verstoß der Gemeinde Ummendorf gegen das Gebot der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen, wie es die Gemeindeordnung Baden-Württemberg formuliert; b) fehlende Gerechtigkeit (z. B. keine Berücksichtigung sozialer/wirtschaftlicher Kriterien) und mangelnde Übereinstimmung der Vergabekriterien in Ummendorf mit dem diesbezüglichen EU-GH-Urteil.
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Pressemitteilung des Klägeranwalts verweist auf mögliche Regressansprüche
Eine Einordnung des Tenors aus dem VG Sig gibt es vom Klägeranwalt Oliver Leuze in Form dieser Pressemitteilung:
Klares Gerichtsurteil: Gemeinde hat bei Bauplatzvergabe rechtswidrig gehandelt
Mit einem klaren Urteil hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen eine Klage unserer Mandantschaft gegen die Gemeinde Ummendorf stattgegeben. Es wurde per Urteil festgestellt, dass die Vergaberichtlinie und damit auch eine Bauplatzvergabe rechtswidrig waren. Die Bauplatzvergaberichtlinien sind damit ungültig. Das Urteil bedeutet konkret, dass das Vergabeverfahren der fraglichen Bauplätze durch die Gemeinde Ummendorf vom Gericht „auf Null“ [sic] gestellt wurde und nun von vorne begonnen werden muss. Die genaue Urteilsbegründung wurde noch nicht veröffentlicht, allerdings steht laut RA Oliver Leuze schon jetzt außer Frage, dass „von der Gemeinde elementare Grundsätze der Demokratie nicht beachtet wurden„.Das Urteil stelle nach Leuzes Worten unmissverständlich klar, dass „nichts hinter verschlossenen Türen beschlossen werden darf“. Der Bürger müsse „stets prüfen können, ob die Verwaltung ordnungsgemäß arbeitet“. Zudem geht RA Leuze auch davon aus, wie zuvor bereits von den Klägern ausgeführt die Vergaberichtlinie ehemalige weggezogene Gemeindeangehörige bei der geplanten Vergabe gegenüber den tatsächlichen Gemeindeangehörigen bevorteilt hätte.
Nach diesem im Sinne der Demokratie erfreulichen Urteil steht es den Beteiligten „nun frei, prüfen zu lassen, ob sie die Gemeinde für einen durch ihr rechtswidriges Verhalten möglicherweise entstandenen Schaden in Anspruch nehmen können„, so RA Leuze. Und weiter: „Diese Möglichkeit könnten selbstverständlich auch jene Bürger haben, die durch den von der Gemeinde verursachten Rechtsstreit etwaige Nachteile erlitten haben“.
(Pressemitteilung der Anwaltskanzlei Hindennach, Leuze & Partner, Esslingen am Neckar, vom 11.03.2020; Hervorhebg. K. B.)
Für einige Betroffene des Verfahrens wäre es in der Tat eine Wohltat, wenn sie nicht allein zum Beispiel den rufmäßigen Schaden (bis hin zum Mobbing von Kindern im Kindergarten) tragen müssten, sondern die wirklich Verantwortlichen für diese kapitale Misere in Ummendorf zur Rechenschaft gezogen werden würden.
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Wochenblatt-Artikel gleichlautend
Inzwischen gibt es auch einen Wochenblatt–Artikel der Chefredakteurin Karin Boukaboub, der sich ebenfalls auf die Pressemitteilung des Kläger-Anwalts bezieht: „Klares Urteil: Bauplatzvergabe war rechtswidrig“.
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Wer hat an Markus Dreher gedreht?
Am erstaunlichsten jedoch ist der jüngste SchwäZ-Artikel von Redakteur Markus Dreher: „Ummendorfer Bauplatzvergabekriterien sind rechtswidrig“. Zum ersten Mal in der Berichterstattung dieser Zeitung wird die von Gericht von Anfang an geübte Kritik hinsichtlich der Demokratie-Defizite des Vergabeverfahrens in Ummendorf ausdrücklich zitiert:
Deutliche Kritik an Gemeinde
Die Richter beleuchteten das Agieren der Verwaltung nochmals äußerst kritisch. Dass das Rathaus zunächst Unterlagen mit persönlichen Daten der Bewerber wegen datenschutzrechtlicher Bedenken nicht vorlegte, kommentierte Paur so: „Wir müssen von Amts wegen alles ermitteln“, das Gericht habe kein Ermessen und müsse sämtliche Originalakten ungeschwärzt anfordern; die Gemeinde hätte einen Sperrvermerk des Innenministeriums beantragen können. Außerdem fuhr der Bürgermeister an jenem Morgen zum Notartermin, als das Fax des VG mit einem Vergabestopp-Beschluss beim Prozessbevollmächtigten und im Rathaus in der Frühe eingegangen war. „Ich unterstelle keine Absicht“, sagte Paur. Aber die Kanzlei und das Rathaus müssten, wenn sie eine Faxnummer angeben, den Faxeingang auch überwachen. Der Beschluss sei rechtswirksam zugestellt gewesen, „es hat die Kammer wirklich überrascht, wie das gelaufen ist“. Der Klägeranwalt sagte an die Adresse der Gemeinde: „Das ist klassisches Organisationsversagen, damit können Sie sich nicht herausreden.“
(Schwäbische Zeitung 11.02.2020: „Bauplatzvergabekriterien sind rechtswidrig“; Hervorhebg. K. B.)
Der fettgedruckte Teil spielt an auf folgenden Vorgang: Obwohl das VG Sig schon vor dem Hängebeschluss die Gemeinde Ummendorf ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, hinsichtlich der Bauplatzvergabe keine Vollzugsmaßnahmen (wie z. B. die Beurkundung von Kaufverträgen für die Bauplätze) zuzulassen, wurden sogar noch nach Faxeingang des Hängebeschlusses am 10. Januar 2019 acht Kaufverträge der Gemeinde mit bauwilligen Familien bei einem Notar in Neu-Ulm abgeschlossen.
In der Verhandlung gaben sowohl Bürgermeister Klaus B. Reichert wie der Gemeinde-Anwalt Professor Dr. Andreas Staudacher allerlei schräge „Erklärungen“ für die Tatsache ab, dass die beiden Faxe (eins an den Prozessbevollmächtigten, eins an die Gemeinde) des Gerichts die beiden Herren angeblich nicht erreicht hätten.
Wie oben von Markus Dreher korrekt zitiert, ließ sich der Vorsitzende Richter Christian Paur von diesen – meine Meinung: – hanebüchenen Ausreden nicht beeindrucken und verwies auf die „Organisationspflicht“ einer Kommunalverwaltung, die von ihrer grundsätzlichen Aufgabe her sicherzustellen hat, dass sie solche wichtigen gerichtlichen Verfügungen zeitnah erreichen. Zumal diese ja schon vorangekündigt und zu erwarten gewesen waren.
Auch an dieser Stelle der Verhandlung kam es zu einer enthüllenden Pointe: Gerade hatte Bürgermeister Klaus B. Reichert ausführlich dargelegt, unter welchen verheerenden infrastrukturellen Bedingungen die Gemeindeverwaltung Ummendorf 2019 zu arbeiten hatte (muss dort schlimmer zugegangen sein als im hinterletzten Seitental des Urals!) und dass das Rathaus freitagnachmittags außerdem geschlossen sei, als Richter Mathias Löffler BüM Reichert nonchalant und milde lächelnd darauf hinwies, dass der Faxversandtag des Hängebeschlusses ein Donnerstag gewesen sei.
Leider darf man in so einer Gerichtsverhandlung ja nicht lachen. Aber ich hatte echt Mühe!
Diesbezüglich hat unser gedrehter Berichterstatter Markus Dreher auch einen Fehler in seinem obigen Artikel. Denn die Zustellung des Hängebeschlusses per Fax erfolgte nicht, wie der SchwäZ-Artikel behauptet, „an jenem Morgen“, an dem Reichert dann zum Notar fuhr. Nein, die Zustellung erfolgte ganz exakt am Donnerstag, den 10. Januar 2019 um 15.56 Uhr und um 15.57 Uhr. Diese beiden Zustellungsuhrzeiten wurden in der Verhandlung mindestens ein Dutzend Mal genannt.
Der Termin der Beurkundung der Kaufverträge kam in der Verhandlung nicht mehr zur Sprache. Aber wenn ich das jetzt korrekt zusammensetze, wurden diese Kaufverträge sogar noch einen Tag später, also an dem von Reichert schon bemühten Freitag (11.01.2019) beurkundet. Trotz des Hängebeschlusses, der genau das verbot.
Ich verbiete mir jetzt auch etwas: Weitere Schlüsse über den Respekt der Gemeinde Ummendorf gegenüber dem Rechtsstaat aus diesem Vorgehen zu ziehen …
Jetzt mache ich erst einmal eine Pause. Aber den SaSe-Lesern möchte ich auf Dauer nicht vorenthalten, wie sowohl Bürgermeister Klaus B. Reichert als auch sein Rechtsbeistand bei verschiedenen Themen in der Verhandlung die Richter belehrt haben. Reichert etwa verstieg sich an einer besonders sensiblen Stelle (dem Gebot von Öffentlichkeit) zu der wörtlichen Äußerungen an den Vorsitzenden Richter: „Da können Sie mir erzählen, was Sie wollen.“
Fortsetzung also folgt!